
"Ist der Schaden dauerhaft oder kann er repariert werden?" Haaretz-Konferenz in New York untersucht Israels gespaltene Demokratie während des Gaza-Krieges
12. 9. 2025
Die Konferenz brachte israelische Gesetzgeber, amerikanisch-jüdische Führer, Aktivisten und Journalisten zusammen, die unterschiedliche Ansichten über Demokratie, den Krieg in Gaza und die israelisch-amerikanischen Beziehungen vertraten. Ein Redner sagte: „Obwohl Antisemitismus am Rande der Gesellschaft existiert, richten sich die meisten Proteste in den USA gegen die Politik der Netanjahu-Regierung, nicht gegen Israel oder Juden.“
Übersetzt aus dem Tschechischen von Uwe Ladwig
„Die
Maßnahmen der israelischen Regierung verringern die Sicherheit der
Israelis und setzen jüdische Gemeinden auf der ganzen Welt einem
größeren Risiko aus. Der Antisemitismus wird stärker, aber anstatt
Sie zu schützen, handelt diese Regierdung rücksichtslos und
gefährdet auch Ihre Gemeinden“, sagte die Knesset-Abgeordnete
Naama Lazimi auf der Haaretz-Konferenz am Dienstagabend im Marlene
Meyerson JCC Manhattan in New York.
Lazimi von der
Demokratischen Partei fügte hinzu: „Nach fast zwei Jahrzehnten von
Netanjahu geführten Regierungen ist Israel an seinem schwächsten
Punkt. Die Justizreformen haben gezeigt, wie fragil unsere Demokratie
ist. Der 7. Oktober entlarvte Netanjahus gescheiterte Politik und
leere Versprechungen. Seit mehr als zwei Jahren zeigen alle
Meinungsumfragen, dass seine Regierung nicht das öffentliche
Vertrauen hat. Diese Regierung hat ihre Legitimität längst
verloren.“
„Der Sieg über die Hamas reicht nicht. Wir
müssen auch unsere eigenen Extremisten entwurzeln und aus der
Regierung und den Machtpositionen entfernen“, sagte sie.
Die
Veranstaltung mit dem Titel „Preserving Israeli Democracy – Why
It Still Matters“, die in Zusammenarbeit mit J Street und der
Israel Civil Rights Association organisiert wurde, befasste sich mit
der Zukunft der israelischen Demokratie im Schatten des Krieges
zwischen Israel und der Hamas und brachte Redner aus Israel und den
Vereinigten Staaten zusammen.
Die Chefredakteurin der
englischen Ausgabe von Haaretz, Esther Solomon, eröffnete die
Veranstaltung mit den Worten: „Wir sind heute Abend hier, um zu
versuchen, Licht auf den Zustand der israelischen Demokratie zu
werfen, ob der Schaden irreversibel ist oder ob es irgendeine
Hoffnung auf Verbesserung gibt.“
Der Chefredakteur von
Haaretz, Aluf Benn, argumentierte, dass Netanjahu sein Programm zur
Schwächung der demokratischen Institutionen auch nach dem Angriff
der Hamas fortgesetzt habe. „Als die Hamas am 7. Oktober Israel
angriff, verdoppelte Netanjahu, anstatt zu versuchen, die israelische
Gesellschaft im Angesicht des Feindes zu vereinen, seine
antidemokratischen Anstrengungen."
Er fügte hinzu,
dass die israelischen Institutionen und die Mainstream-Medien sich
zum großen Teil mit den Folgen des Krieges nicht abfinden konnten.
"Wenn es um Kriegsverbrechen, den massenhafte Verlust des Lebens
von Zivilisten, die Zerstörung von Städten und Dörfern in Gaza,
Hunger und Unterernährung geht, schauen sie weg. Für sie beseitigt
das Hamas-Massaker vom 7. Oktober alle palästinensischen Ansprüche
auf Menschenrechte oder Gerechtigkeit.
"Wir haben eine klare Wahl und eine klare Aufgabe. Wir müssen die israelische Demokratie bewahren, sie verbessern und an ihrem Schutz und ihrer Verstärkung arbeiten, da sie für Millionen von Menschen unter ihrer Herrschaft lebenswichtig bleibt."
War Israel jemals wirklich demokratisch?
Der
Abgeordnete Ayman Odeh aus Hadash das Thema der Konferenz über die
Bewahrung der israelischen Demokratie bezweifelte, sagte: „Ich
beginne mit einer unbequemen Wahrheit: Es hat nie eine echte
Demokratie in Israel gegeben.“
Unter
Applaus fuhr er fort: „Ja, es gibt Wahlen, eine aktive Presse,
politische Parteien und Proteste. Aber Israel ist der einzige Staat
in der Region, der eine ganze Nation – meine Nation – vertrieben
hat, um seine sogenannte Demokratie zu einzuführen“.
„Wie
können wir über den Erhalt der Demokratie in Israel sprechen, wenn
wir täglich Zeugen von Zerstörung und Bestialitäten werden?“,
fragte Odeh.
Odeh
sprach über Netanjahus Regierung und sagte, dass die arabischen
Bürger Israels „diese faschistische Regierung nach Hause schicken
wollen.“ Wir wollen uns den Protesten gegen den Justizputsch
anschließen, aber nicht um in das sogenannte „schöne Israel“
zurückkehren. Nicht nach Israel, das eine Militärregierung
einsetzte, das Massaker von Kafr Qasem verübte, unser Land
konfiszierte, im Oktober 2000 arabische Bürger erschoss und die
Staatsbürgerschaft zweiter Klasse im Nationalstaatsgesetz von 2018
verankerte.
„Der
Krieg wird enden, und 7,5 Millionen Palästinenser und 7,5 Millionen
Juden werden immer noch zwischen dem Fluss und dem Meer leben. Beide
Nationen müssen sich gegen diejenigen stellen, die eine historische
Versöhnung ablehnen", fügte er hinzu.
„Deshalb
haben wir, eine Gruppe von Arabern und Juden, uns verpflichtet, den
Frieden durch eine auf der Achtung der nationalen Rechte beider
Völker und ihres Rechts auf Selbstbestimmung basierende
Massenbewegung des Volkes zu schaffen. Ich lade Sie ein, sich uns
anzuschließen. Wir brauchen Sie alle. Ohne eine echte Partnerschaft
zwischen Arabern und Juden kann es keinen Frieden geben.“
Protest
gegen Israel – oder gegen Netanjahus Regierung?
Die
Konferenz umfasste Podiumsdiskussionen und Interviews mit
israelischen Gesetzgebern, amerikanisch-jüdischen Führern,
Aktivisten der Zivilgesellschaft und Journalisten, von denen jeder
eine ganz unterschiedliche Sicht auf die Demokratie, den Krieg in
Gaza und die Zukunft der israelisch-amerikanischen jüdischen
Beziehungen anbot.
Jeremy
Ben-Ami, Präsident von J Street, sagte in einem Interview mit Benn,
dass „während Antisemitismus zwar am Rande der Gesellschaft
existiert, protestiert die überwiegende Mehrheit der Studenten und
progressiven Gruppen gegen die Politik der israelischen Regierung,
aber nicht gegen Israel oder Juden.“
Er
fügte hinzu: „Warum sollte jemand, der keine persönlichen
Verbindungen zum Westen hat, die Politik und die Handlungen dieser
[israelischen] Regierung in den letzten 20 Jahren verfolgten und
sagen: 'Aber ich liebe Israel immer noch'? Nein. Wenn Sie sehen, dass
mehr als 80 Prozent der Demokraten verweigern, Waffen an Israel zu
liefern, ist das eine direkte Reaktion auf das Verhalten von
Netanjahu und seiner Regierung. Er beruht nicht auf einem angeborenen
Hass auf Israel oder seine Bewohner.“
Auf
die Frage, ob man diesen Trend umkehren könne, sorgte Ben-Ami für
Gelächter, als er antwortete: „Ja. Verhalten Sie sich anders.“
In
einem Interview über Bürgerrechte mit Rabbinerin Sharon Kleinbaum,
Direktorin von The Beacon und emeritierte Rabbinerin der Congeration
Beit Simchat Thora, sagte Rabbi Noa Sattath, Geschäftsfürende
Direktorin der Association for Civil Rights in Israel: „Nach dem 7.
Oktober wurden wir Zeugen eines vollständigen Zusammenbruchs der
Menschenrechte und der grundlegenden Normen. Die ersten Monate waren
für uns als Organisation von Juden und Palästinensern besonders
schwierig und zwangen uns, unsere Arbeit und unser Verständnis von
Krieg zu überdenken. Wir haben eine riesige Menge an Energie und
Ressourcen aufgewendet, um uns einfach zusammenzuhalten. Heute ist
das aber zu unserer größten Stärke geworden: das Bewusstsein, dass
unsere Zukunft voneinander abhängt.“
"Es
scheint, dass es nie schlimmer war – aber eigentlich war es
schlimmer. Es war viel schlimmer, und wir sind eine Generation, die
sich mehr auf dieses Leben vorbereitet hat als jede andere Generation
vor uns. Wir sind gebildeter, stärker, besser organisiert. Es ist
nicht der Kampf, den wir uns wünschten, aber es ist ein Kampf, dem
wir uns mit aller Kraft stellen müssen, die wir haben“, sagte
sie.
„Israelische
und palästinensische Trauer müssen geteilt werden“
Der
Chefredakteur des New Yorker, David Remnick, dachte in einem
Interview mit Solomon darüber nach, was er bezüglich der
Auswirkungen des Krieges am meisten befürchtet.
„Zuerst
Zehntausende Tote, Gaza in Trümmern, israelische Geiseln immer noch
in Haft. Antisemitismus ist real und andauernd. Einige Juden in
Amerika – die zu den glücklichsten Juden der Geschichte gehören –
waren schockiert, als sie sahen, wie sich der Antisemitismus offener
äußert. Es ist aber auch wahr, dass Tausende von Menschen die
israelische Politik ablehnen, ohne in irgendeiner Weise antisemitisch
zu sein. Viele von ihnen sind tatsächlich von dem motiviert, was sie
unter jüdischen Werten verstehen.“
Remnick
erinnert sich an seinen Besuch in Israel nur wenige Tage nach dem 7.
Oktober: „Ich nahm an der Beerdigung der ganzen Familie teil, fünf
Särge wurden in die Erde versenkt. Nie habe ich etwas Ähnliches
gesehen. Und gleichzeitig begann in der Ferne bereits die
Bombardierung des Gazastreifens. Zwei Schrecken auf einmal, die
Trauer der Israelis und die Katastrophe, die die Palästinenser
verschlingen sollte. Beides ist real. Beides muss zusammen betrachtet
werden.“
„Ja,
Antisemitismus macht mir Sorgen. Viel mehr Sorgen bereitet mir aber
der Schaden, der angerichtet wurde: die Auswirkungen auf ganze
Generationen, die Ausbreitung von Hass, der Ton der Debatte auf allen
Seiten und die politische Atmosphäre, die noch lange nach dem Krieg
bestehen wird."
In
einem Interview mit Ben Samuel von Haaretz sagte Mickey Gitzin,
Geschäftsführender Direktor des New Israel Fund, vor einem Publikum
in Manhattan: „Wir sind eine internationale Organisation, und wir
sind stolz darauf. Die Rechte baut ihre Netzwerke seit Jahren im
Ausland aus; warum sollten wir zum Schweigen gebracht werden, wenn
wir das Gleiche tun? Die Frage ist nicht, ob man international
arbeitet oder nicht, die Frage ist, welche Werte man
durchsetzt.“
„Was
können Sie vom Ausland aus machen. Die Zivilgesellschaft durch
Spenden unterstützen, sich organisieren und Ihre Stimme erheben. Der
Wandel kommt nie, wie Strategen vorhersagen. Aber wenn der Wandel
kommt, müssen wir vorbereitet sein. Das bedeutet nicht nur,
schreckliche Realitäten zu blockieren, sondern auch eine Vision für
eine andere Zukunft zu entwickeln.“
„Wir
müssen in den Spiegel schauen“
Die
Veranstaltung endete mit einer Podiumsdiskussion mit Samuels, Esther
Sperber von Faithful Left (Smol Emuni) und Dr. Nasreen Haddad Haj
Yahya von NIF Israel, die Solomon moderierte. Haj Yahya sagte: „Als
palästinensischer Bürger Israels habe ich nie die Demokratie
erlebt, von der Sie sprechen, weder ich noch meine Familie noch meine
Brüder und Schwestern im Westjordanland oder in Gaza. Für uns ist
das keine Demokratie.2
„Es
ist leicht, Netanjahu, Ben-Gvir und Smotrich zu beschuldigen. Aber
wir müssen auch in den Spiegel schauen. Im Jahr 2020 weigerte sich
Benny Gantz, eine Koalition mit der Vereinten Liste zu bilden. Das
sogenannte liberale Lager ignorierte 20 Prozent der israelischen
Bürger. Wenn die arabische Vertretung nicht als legitime Alternative
zu dieser Regierung angesehen wird, wird es keine wirkliche
Demokratie und Zukunft geben.“
In
Bezug auf den Mangel an Visionen in der US-Politik in Bezug auf den
Krieg und Israel sagte Samuels: „Trump ist es egal, was mit der
israelischen Demokratie passiert. Er ist nur an seinem Gewinn
interessiert und daran, ob etwas in seinem besten Interesse
ist.“
„Ich
möchte die Gefahr eines uninteressierten Amerikas betonen. Ein
Amerika, das nicht versteht, worum es wirklich geht, wird sich in
dieser Region nur noch mehr einmischen, und zwar auf eine Weise, die
es nicht will, auch wenn es glaubt, sich damit Distanz zu schaffen.“
Sperber dachte darüber nach, wie schwierig es war, amerikanische Juden dazu zu bringen, gegen den Krieg zu protestieren, selbst nach einigen Erfolgen während des Justizputsches, und fragte: „Was wäre dafür nötig? Wie viel schlimmer könnte es noch sein? 64.000 Tote, 150.000 Verletzte, mehr amputierte Kinder in Gaza als irgendwo sonst auf der Welt, hungernde Familien, systematisch zerstörte Häuser. Wie viel schlimmer muss es noch sein, damit wir sagen: Das ist inakzeptabel?“
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