
Anwälte reichen gegen die Europäische Kommission und den Rat der EU wegen der Untätigkeit im Zusammenhang mit dem Völkermord in Gaza Klage ein
17. 7. 2025
Kaja
Kallas, die Hohe Vertreterin der EU für Außenpolitik, könnte am
Dienstag (15.07.) dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten mögliche
Initiativen gegen Israel vorstellen, Juristen der Vereinigung JURDI
(Juristes
pour le respect du droit International- Juristen für
die Respektierung des Völkerrechts) werden aktiv.
Am Donnerstag werden sie beim Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg eine Klage gegen die Europäische Kommission und den Rat der EU einreichen wegen der von der Netanjahu-Regierung in Gaza. Es ist das erste Mal, dass zwei europäische Institutionen wegen Untätigkeit angesichts des Verstoßes gegen das Völkerrechts vor Gericht brächten, in diesem Falle dem Gerichtshof der Europäischen Union.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Uwe Ladwig
Französisch-belgische
Anwälte, darunter Berater des Internationalen Strafgerichtshofs und
Universitätsprofessoren, haben am 12. Mai ein formelles
Aufforderungsschreiben an beide Institutionen geschickt und fordern
nun, zwei Monate nach der ersten Warnung, die Einleitung eines
Verfahrens.
Neu ist, dass der Rechtsstreit "inhouse"
stattfinden wird – ohne internationale Konventionen oder
Gerichte.
Die 90-seitige Klage stützt sich auf Artikel
265 des EU-Vertrags, der darauf abzielt, eine europäische
Institution wegen schuldhafter Untätigkeit zu sanktionieren.
Doppelter
Standard
In
dem Dokument heißt es: "Weil es das Assoziierungsabkommen
zwischen der EU und Israel für 21 Monate (Stand Oktober 2023) nicht
ausgesetzt hat, weil es keine Sanktionen oder wirtschaftlichen
Beschränkungen gegen die Regierung Netanjahu vorgeschlagen hat und
weil es nicht öffentlich zum Risiken des Völkermord und
dokumentierter Verbrechen Stellung bezogen hat."
"neben
den 18 Sanktionspaketen gegen Russland, die von der Kommission
vorgeschlagen und vom Rat gebilligt wurden (mit Ausnahme des 18.),
gibt es eine Doppelmoral gegen Israel, die jetzt unerträglich ist",
erklärt Alfonso Dorado, französischer Strafverteidiger, Berater des
Internationalen Strafgerichtshofs und einer der Autoren des
Berufung.
Der Europäische Vertrag sieht die Achtung des
Völkerrechts, der Menschenwürde und der Grundrechte vor und sieht
die Möglichkeit vor, Sanktionen zu beantragen, wenn ein Dritter die
EU-Grundsätze nicht einhält.
Syrien,
Belarus, Myanmar, Russland... aber nicht Israel
Das
war bei Syrien, Belarus, Myanmar und vor allem Russland der Fall.
Aber im Falle Israels ist nichts unternommen worden.
In
Verbindung mit der Forderung von 17 europäische Länder vom 20. Mai
nach einer Überprüfung des Artikels 2 des Assoziierungsabkommens
mit Israel hat der diplomatische Dienst der Europäischen Kommission
einen Bericht über Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht
durch die israelische Regierung veröffentlicht.
Sechs
Seiten voll mit unzähligen Fällen von Verstößen, Verbrechen und
Missbrauchshandlungen gegen die palästinensische Bevölkerung,
sowohl in Gaza als auch in den besetzten Gebieten, in Gefängnissen
und Krankenhäusern.
Das Dokument kam zwar mit
20-monatiger Verspätung nach Beginn der Bombardierung des
Gazastreifens, es ist aber eindeutig.
Nur, dass es bisher
noch keine Konsequenzen hat.
Am Tag als des Berichts den
europäischen Außenminister vorgelegt wurde, am 23. Juni, schlug der
EU-Außenbeauftragte Kallas keine Ausgleichsmaßnahmen vor.
Im
Gegenteil, im Pressesaal des Rates wiederholte Kallas dreimal, dass
"die Kommission die israelische Regierung nicht bestrafen will"
und dass sie die Tür für einen "Dialog zur Entspannung der
humanitären Lage vor Ort" öffnet“.
Schließlich
kündigte Kallas' Sprecher letzte Woche ein Abkommen mit dem
israelischen Außenminister Sa'ar an, dass Lastwagen mit
Lebensmitteln und Medikamenten erlaub, sowohl in den Norden als auch
in den Süden des Gazastreifens zu fahren.
"Dieses
Abkommen ist rechtlich nicht ausreichend, um das angebliche
Versäumnis zu beheben oder zu neutralisieren, es stellt keine
strukturelle Maßnahme, keine Sanktion und keine auf die Pflicht dar,
Genozid zu verhindern. Im Gegenteil, sie deckt das anhaltende
Versagen auf, weil es zeigt, dass die EU weiterhin aktiv mit Israel
zusammenarbeitet und es vermeidet, ihre eigenen
Konditionalitätsmechanismen anzuwenden", war darauf die
Reaktion von Dorado.
Die
Anwälte von JURDI beantragen nun bei den Richtern in Luxemburg ein
Dringlichkeitsverfahren, um die Kommission und den Rat zu zwingen,
alle handelspolitischen und politischen Beziehungen zu Israel
abzubrechen und eine politische Erklärung zur Gefahr eines
Völkermords in Gaza abzugeben.
Die politische Situation
im Rat ist natürlich sehr kompliziert.
Die Aussetzung
des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel erfordert die
Übereinstimmung der Regierungen, und es gibt immer noch eine Mauer
des Widerstands aus Deutschland, Polen, Ungarn, Griechenland und
Italien gegen jegliche Sanktionen.
Aber auch die
Handelssanktionen, für die nur eine Mehrheit erforderlich ist,
werden von denselben Ländern blockiert. Zusammen mit ihren Bewohnern
bilden sie eine sogenannte "blockierende Minderheit" und
lassen keine Entscheidungen zu, auch wenn die EU-Länder in der
Minderheit sind.
"Es gibt jedoch Sanktionen, die die
Kommission als Vollstrecker des europäischen Haushalts verhängen
kann, ohne dass die Zustimmung der Regierungen nötig ist",
erklärt Dorado.
Eine dieser Maßnahmen ist die Aussetzung
der Forschungsgelder des Programms Horizont Europa.
Laut
einer aktuellen Untersuchung von Follow The Money und anderen
europäischen Medien geht es um mehr als 1 Milliarde Euro an
Zuschüssen für israelische Universitäten, Unternehmen und
Ministerien.
Darüber hinaus sind, wie die Konsortien
Investigate Europe und Reporters United enthüllten, 15
Waffenentwicklungsprojekte mit dem in Athen ansässigen israelischen
Unternehmen Intracom Defense am Laufen, das sich im Besitz der
Aktiengesellschaft Israel Aerospace Industries (IAI) befindet.
Alle
Projekte werden mit europäischen Mitteln aus dem Europäischen
Verteidigungsfonds finanziert.
Nach Ansicht vieler
Experten, mit denen investigativen Journalisten sprachen, stehen
diese Projekte in klarem Widerspruch zu den ethischen Prinzipien des
Verteidigungsfonds und sollten so schnell wie möglich gestoppt
werden.
Die Leitung des Gebäudes Berlyamont befasst sich
damit jedoch vorerst nicht.
Diese Untersuchungen sind
Teil der Beweise, die JURDI in die Berufung aufgenommen hat, die in
Kürze vor den europäischen Gerichten eingereicht wird.
Neben
dem europäischen Vertrag unterstützt JURDI auch die internationale
Rechtsprechung. Nach dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs aus
dem Jahre 2007 (Bosnien und Herzegowina gegen Serbien), das als
Reaktion auf das Massaker von Srebrenica 1995 gefällt wurde, sind
alle internationalen Akteure, die dafür über Mittel verfügen,
einschließlich der europäischen Institutionen, auch wenn sie nicht
Unterzeichner der Konvention zur Verhütung des Völkermordes von
1948 sind (die von 153 Ländern, einschließlich der Vereinigten
Staaten und Israel, ratifiziert wurde), verpflichtet, alles in ihrer
Macht Stehende zu tun, um Völkermord zu verhindern.
Neben
der Aussetzung von Handelsabkommen und Forschungs- und
Entwicklungsprojekten (einschließlich Waffen) fordert JURDI die
Aussetzung von Finanztransaktionen mit dem belgischen Swift-System,
Sanktionen gegen einige Mitglieder der Netanjahu-Regierung und
Sanktionen gegen die gewalttätigsten Siedler, die das
Internationalen Strafgerichtshof bereits identifizierte.
In
der Zwischenzeit müssen wir abwarten, wie die Berufung vor dem
Gerichtshof aufgenommen wird und vor allem, ob ihre Dringlichkeit
anerkannt wird.
Dies ist jedoch nur der erste Schritt und
die Anwälte von JURDI beabsichtigen nicht aufzuhören.
"Hochrangige Beamte der Europäischen Union müssen vorsichtig sein, denn eines Tages könnten sie vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Mittäterschaft am Völkermord angeklagt werden. Ich kann Ihnen versichern, dass wir nicht aufhören werden; wir haben uns auf einen langen Weg begeben", sagte Dorado.
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