Hinter den Vorhang und zurück II.

1. 11. 2021 / Uwe Ladwig

čas čtení 17 minut


Der erste Teil dieses Textes ist HIER

Episode XI

April 1970

Papiere sind nicht alles und Zusagen erst recht nicht...

Formal meinte ich, gute Gründe für die Erteilung einer zeitlich begrenzten Daueraufenthaltsgenehmigung zu haben. Meine tschechische Frau gewährte mir Unterkunft in ihrer Wohnung, die Sprachschule bestätigte mir, mich als Lehrer für deutschsprachige Konversation zu beschäftigen. Ich hatte somit ein Dach über dem Kopf, könnte auch vom Einkommen meiner Frau leben, doch vor meinem Arbeitsantritt wirkte der nicht wirklich existente Stempel, der besagte, dass ich "Reichsdeutscher" sei.

 

Auf unerklärliche Weise verschwanden aus der Schublade einer Bekannten in der Sprachschule alle meine Unterlagen. Sie waren weg, einfach weg. Die Beschwerde eines in Prag ansässigen und mit einer Ostdeutschen verheirateten Tschechen war vielleicht nicht ganz unbeteiligt an dem Verschwinden, denn er hatte sich nach Hörensagen beklagt, dass an der Sprachschule ein "Reichsdeutscher" unterrichten sollte und nicht seine Frau.

Die mich überraschende Klassifizierung blieb mir auch weiterhin in anderen Fällen erhalten, auf die Zusage der Sprachschule kam ich aber in der Folge nicht zurück, denn ihr Verschwinden spielte für die Bearbeitung meines Antrags auf Gewährung einer Daueraufenthaltsgenehmigung keine Rolle mehr. Ich selbst hätte gerne in Deutsch Konversationskurse gegeben, denn im Kontakt mit Schülern lernt man bekanntlich vieles kennen, was einem sonst wohl verborgen bliebe, mehr interessierte mich aber die tschechische Sprache, die ich gerne erlernen wollte.


Episode XII

April/Mai 1970

Tschechisch - von Null auf ...

Nach Prag war ich gezogen, ohne mehr als "Danke" auf Tschechisch sagen zu können. Lernbegierig hatte ich mich deshalb an der Universität erkundigt, ob ich an einem Sprachkurs teilnehmen könnte. Gegebenenfalls auch nur so, ohne Anrecht auf offizielle Prüfungen. Die Unterlage für das Studium hatte ich bereits, es war ein Skript für englischsprachige Studenten.

Den Kurs gab es, das wusste ich, die Erlaubnis wäre kein Problem, bestätigte man mir, man müsse sie nur ausstellen. Zeit, nein, auch Zeit wäre kein Problem, es ginge alles sehr schnell.

Ohne irgendwelche Vorahnungen begann ich aus dem Skript und einem deutschen Lehrbuch der tschechischen Sprache zu lernen, um auf keinen Fall in Verzug zu geraten, doch mit der Genehmigung gab es "leichte" Probleme.

Man teilte mir immer mit, dass die Stelle, bei der ich gerade nachgefragt hatte, meinem "Studium" zustimme, doch jeweils eine weitere und somit höhere auch zusagen müsse. Mehrfach wiederholte sich das sich Wochen hinziehende Spiel, bis man von einer Konferenz auf Ministerialebene sprach. Diese, welch ein Irrtum, betraf dann rückblickend leider nur Studenten aus afrikanischen Ländern.

Inzwischen machte ich Korrekturen deutscher Texte, korrigierte dann auch Übersetzungen aus den Tschechischen ins Deutsche, las erste tschechische Bücher. An der Universität wollte man mich aber nicht zulassen, vielleicht weil ich für jemanden wieder "Reichsdeutscher" war, was aber nicht verhinderte, dass ich doch die tschechische Sprache erlernte.

Episode XIII

Juli 1970

Berlin, Berlin, warum nur Berlin

Ich lebte in Prag, kam mit dem dortigen Alltag trotz aller Kümmernisse zurecht, und wartete auf meine Daueraufenthaltserlaubnis. Und man erklärte sich tatsächlich bereit, sie mir zu erteilen.

Die Überraschung dabei, nicht eine der in Prag ansässigen Stellen wollte mir den Pass entsprechend abstempeln, nein, ich sollte dafür nach Berlin fahren, nach Ost-Berlin zur dafür zuständigen Militärmission der ČSSR.

Meine Verwunderung darüber hätte kaum größer sein können, doch ich war der Bittsteller und machte mich somit auf den Weg nach Berlin.

In der Militärmission im Osten der Stadt angekommen, erfuhr ich, dass "leider" die entsprechenden Unterlagen nicht vorlägen. Für mich schien damit irgendwie eine Entscheidung verbunden zu sein, die man mir offiziell nicht mitteilen wollte und mit der ich nicht so ohne Weiteres einverstanden war.

Ich erinnerte die meine Unterlagen nicht findende Person noch einmal an die offizielle Entscheidung der wohl übergeordneten Dienststelle in Prag und erklärte, ohne die zugesagte Aufenthaltsgenehmigung nur unter Zwang die Militärmission zu verlassen und deutete mit einem Hinweis auf eine sich in den Räumen befindende größere Sitzgelegenheit an, auf ihr schlafen zu wollen.

Oh Wunder, man suchte daraufhin noch einmal kurz und fand ziemlich schnell meine Unterlagen. Die ganze Sache erledigte mit einem Eintrag der Aufenthaltsgenehmigung in meinem Pass und ich fuhr zurück nach Prag, nicht ohne mich zu fragen, wieso ich eigentlich schließlich doch erfolgreich war.

Episode XIV

Juli 1970

Das Recht auf Arbeit ist auch eine Pflicht

In der Folge arbeitete ich in Prag freiberuflich als Korrektor deutschsprachiger und Übersetzer tschechischer Texte ins Deutsche und schließlich als Schauspieler in einen vom Krátký film erstellten Deutschkurs. Gegen meine eigentliche Absicht habe ich aus familiären Gründen nicht im April 1971 mit dem Studium angefangen, sondern erst im April 1973. Aus diesem Grunde musste ich zweimal meine Aufenthaltsgenehmigung in einer Meldestelle in der damals eher berüchtigten Bartolomějská verlängern lassen.

Ich erinnere mich sehr gut an das unangenehme Gefühl, den Antrag zu stellen und dabei im Pass keinen Stempel eines Arbeitgebers zu haben. Und ich vergessen nicht den Funken von Hoffnung, der mich freudig stimmte, als ich wartend an einer Informationstafel sah, dass Rentner und Hausfrauen eines solchen Stempels nicht bedurften.

Kaum hatte ich meinen Wunsch nach Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung vorgetragen, da bemängelte die ansonsten nette, verwundert in meinem Pass blätternde Sachbearbeiterin, dass sie meinen Arbeitgeber im Pass nicht finden könne. Nach meiner Erklärung hatte sie aber Verständnis dafür, dass meine Frau über einen entsprechenden Stempel nicht verfügte und über eine Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis nicht gerade erfreut wäre. Sie glaubte mir auch, dass ich auf freiem Fuß arbeitete, ja sie erinnerte sich auf meinen Hinweis hin sogar daran, mich im Fernsehen gesehen zu haben.

Selbst wollte und konnte sie über die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung unter diesen Umständen nicht entscheiden, versprach aber, ihrem Vorgesetzten die Sache vorzutragen. Gespannt wartete ich auf ihre Rückkehr und das Ergebnis. Ich hatte Glück und war nach wenigen Minuten des Wartens ein aus der BRD stammender Deutscher, den die Behörde der ČSSR offiziell als Hausmann anerkannte.

Episode XV

1971

Begegnung in der Tschechischen Philharmonie

Jubiläum. 75 Jahre Tschechische Philharmonie. Eine Ausstellung mit Filmvorführung. Der Vorführer war Student und verdiente sich nebenbei in dem Gebäude der Tschechischen Philharmonie einige Kronen. Auf mich kam er mit der Bitte zu, für einige Tage den Job zu übernehmen, weil ihm eine weitere Sache am Herzen lag, ohne aber im Hause irgendwen wissen zu lassen, dass ich ihn vertrete.

Eigentlich hatte er dabei den Falschen um Hilfe gebeten, denn ich hatte nicht nur von klassischer Musik wenig Ahnung, noch weniger aber von Filmvorführung.

Er zeigte mir kurzerhand nicht nur, wo sich das Filmvorführgerät befand, sondern erklärte mir auch wie man es bedient und wie man im Falle des Falles gerissene Filme klebt. Somit war er frei für anderes und ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen.

Irgendwann begann das Gerät am nächsten Tag zu leiern. Ich schaltete es an und aus, berührte mir unbekannte Teile und - es funktionierte wieder.

Abends, kurz vor Dienstschluss tauchte neben mir ein Herr auf, der von meiner Existenz bestimmt nichts erfahren sollte. Er bat mich am nächsten Tag auf alle Fälle anwesend zu sein und den Film vorzuführen, wenn der Genosse Innenminister die Ausstellung besucht. Ich war nicht wirklich gesprächig, mein "Ja" fiel sehr knapp aus, damit er ob meiner Aussprache nicht irgendwelche Zweifel hegte.

Der nächste Tag, der Minister rauschte mit seinen Begleitern rein, ich warf meinen Apparat an, er dreht sich für einige Fotoaufnahmen kurz um und entschwand, nicht ohne auf den letzten Metern durch leichtes Leiern begleitet zu werden. Ich stellte das Vorführgerät ab und war mir sicher, dass sich in der allgemeinen Aufregung niemand gestört fühlte.

Dem war dann auch so, allein als ich dem Studenten nach seiner Rückkehr auf seine Frage, ob alles in den Tagen zuvor gut gegangen sei, antwortete, der Innenminister sei da gewesen, wurde er etwas blass. Doch ich versicherte ihm, dass er sich nicht bei seinem Minister melden solle...

Episode XVI

1972

Auf zur Handelskammer

Kein Zweifel, meine Tschechischkenntnisse hatten sich entscheidend verbessert, also entschloss ich mich eines Dienstags, die Handelskammer in Prag aufzusuchen, um mich als Übersetzer anzubieten. Der zuständige Mitarbeiter war schnell gefunden.

Nachdem ich kurz meinen Namen genannt hatte, kam es in Tschechisch zu etwa folgendem Gespräch:

Ich: Ich habe gehört, Sie suchen Übersetzer und wollte mich gerne bewerben.

Er: Welche Sprache übersetzen Sie?

Ich: Deutsch.

Er: Wieso können Sie Deutsch?

Ich: Ich bin Deutscher.

Er: Wieso sprechen Sie Tschechisch?

Ich: Meine Frau ist Tschechin und ich lebe hier.

Er: Toll, ich weiß schon was ich Ihnen gebe. Ein Problem weniger. Reichen Sie einen Dreizeiler ein, damit ich Ihre Adresse habe. Nur die Adresse, keine langen Erklärungen. Morgen oder spätestens Donnerstag. Am Montag erhalten Sie die Unterlagen. Ich: Es freut mich, ich gebe die Zeilen morgen am Empfang ab.

Lächelnd ging ich zur Tür und wollte sie öffnen. Bevor ich mich aber mit einem "Auf Wiedersehen" verabschieden konnte, fragte er:

Er: Woher aus Deutschland kommen Sie?

Ich: Ich bin Hamburger.

Er: Gott mit uns!

Ich - mit dem Türgriff in der Hand -: Auf Wiedersehen.

Am nächsten Tag gab ich meine Daten beim Pförtner ab, eine Rückmeldung, einen Auftrag für eine Übersetzung erhielt ich nicht.

Episode XVII

1972

Direkt im Herzen Europas

Es begann mit Korrekturen für die deutschsprachige Ausgabe der tschechoslowakischen Propaganda-Zeitschrift "Im Herzen Europas". Ich erhielt die entsprechenden Druckfahnen, korrigierte sie und gab sie dann in der Redaktion ab. Um den Rest kümmerten sich andere.

Eines Tages bat man mich dann mit der Versicherung, dass man es auch bezahlen wolle, um Hilfe, bezahlen, aber als normale Korrektur, über die nächsten Monate verteilt, damit es nicht auffiele. Alle würden am Tag der letzten Kontrolle der Originalvorlage vor dem Ausgabedatum abwesend sein, Krankheit und Urlaub waren die Begründung. Die Redaktion wäre mir dankbar, wenn ich die Endkontrolle übernehmen und das Startzeichen für den Druck geben könne.

Ich dachte mir:

Viel Vertrauen für einen "Reichsdeutschen", der sonst für andere nicht einmal Übersetzungen machen durfte, konnte ich doch den Text des Propagandablattes entscheidend ändern, viel Vertrauen in einem Staat wie der ČSSR, in der so vieles von Kaderabteilungen kontrolliert wurde.

Ich erfüllte die Bitte im Sinne der Redaktion, veränderte die Texte nicht, freute mich aber über das mir erwiesene Vertrauen. Für die nächste Ausgabe machte ich dann wieder "nur" Korrekturen...

Episode XVIII

1972

Nächtlicher Freundschaftsdienst

Eines Tages klingelte jemand unerwartet gegen 20 Uhr an unserer Tür. Es war die Redakteurin eines Verlages, für den ich regelmäßig Buchannotationen übersetzte, die man mit einem Ostberliner Verlag auszutauschen pflegte. Die sonst immer sehr ruhige Frau wirkte irgendwie aufgebracht und meinte, es sei dringend und nur ich könne ihr helfen.

Für ihren Verlag arbeitete nicht nur ich als inoffizieller freier Mitarbeiter, sondern auch Literaten und Übersetzer, denen der Staat offiziell Berufsverbot erteilt hatte und deren Bezahlung über für den Staat "makellose" Dritte erfolgte.

Davon wusste natürlich inoffiziell auch der Chef der Redakteurin, der ihr am späten Nachmittag eine etwa 10seitige Rede übergab, die sie bis in die Morgenstunden ins Deutsche übersetzen sollte. Perfide daran die Drohung: Der Chef versprach, sie mitsamt ihren Schützlingen andernfalls auffliegen zu lassen.

10 Seiten, das war kein Klacks. Aber es war klar, auf einer alten Continental-Schreibmaschine schrieb ich nachts die Übersetzung.

Morgens schaute mir meine Frau über die Schulter und fragte etwas erstaunt, ob eine meiner Formulierungen im Deutschen richtig sei. Ich unterbrach meine Arbeit, schaute auf und erklärte die Mängel als Reaktion auf die vortägige Erpressung. Ansonsten war es eigentlich selbstverständlich, dass man bei der Übersetzung so wie bei einer Korrektur Fehler ausmerzt, in diesem Falle aber hatte ich mich entschieden, die am Original erkennbare Dummheit des Verfassers auch in der Übersetzung erkennbar zu machen.

Die Übergabe der Übersetzung erfolgte rechtzeitig zu Arbeitsbeginn in der Redaktion, hatte die Redakteurin doch nachts gesagt, es sei schon egal, ob ihr Chef morgens bemerken würde, dass ein Westdeutscher die Übersetzung gemacht hatte. Ihm bliebe nichts, als den Text zu nehmen und zum Ort seiner Rede zu fahren.

Episode XIX

August/September 1972

Urlaub nach Jugoslawien

Die Gewerkschaft hatte meiner Frau eine Reise für zwei Personen nach Jugoslawien angeboten und sie meinte, ich könne sie begleiten und mein Misstrauen sei etwas übertrieben. Nun ja...

Es begann irgendwie mit einer Vorladung meiner Frau in eine Dienststelle in die Bartolomějská. Dort hatte sich jemand ausgedacht, die Reise diene der Spionage. Meine Frau würde geheime Unterlagen aus dem wissenschaftlichen Institut, in dem sie als Redakteurin tätig war, nach Jugoslawien bringen, sie mir übergeben, damit mein Vater sie in seiner Fabrik in Hamburg nutzen könnte. Ja, es ginge um Industriespionage vom Feinsten! Die Sache hatte jedoch einen Haken...

Die Unterlagen, auf die meine Frau zweifelsohne Zugriff hatte, waren nicht geheim, sondern für die Veröffentlichung bestimmt, nachdem sie sie übersetzt und korrigiert hatte. Mein Vater war Besitzer einer kleinen Tischlerei in Hamburg und ich brauchte nicht nach Jugoslawien zu fahren, um etwas zu übernehmen, da ich ja in Prag lebte.

Es klärte sich alles auf, allein der Vorwurf an meine Frau blieb, über meinen Wohnort und meine Mitreise nicht informiert zu haben. Doch wie es so ist, auf allen für die Reise erforderlichen Anträgen gab es keine Rubrik, in der nach meinem Wohnort und meinen Reiseabsichten gefragt worden wäre.

Wir konnten also gemeinsam fahren, was dann am Flughafen aber einige Verwirrung hervorrief, denn einen Mitreisenden einer tschechischen Gewerkschaftsreisegruppe mit westdeutschem Pass hatte es wohl zuvor noch nie gegeben.

In Jugoslawien wohnten wir in einem durch ein Band abgetrenntem Zeltlager, vor dem laut Reisebegleiter westdeutsche Kapitalsten darauf lauerten, tschechische Reisende zur Spionage zu verleiten. Die Gruppenmitglieder wurden deshalb aufgefordert, nicht mit diesen Deutschen in Kontakt zu treten, nicht mit ihnen zu sprechen, was mich wiederum etwas amüsierte.

Die entsprechende Warnung wurde gleich mehrmals an den ersten Tagen verkündet, über die Gefahr, beim Baden in einen Seeigel zu treten, wurden wir auch aufgeklärt, dieses aber erst wenige Stunden vor der Rückreise.

Episode XX

1972

Wer hat wo welchen Stempel?

Ich wollte wieder einmal für einige Tage nach Hamburg reisen und meine Eltern besuchen. Verständlich, dass ich dafür einen Rückreiseantrag auszufüllen hatte. Diesmal informierte mich die Dienststelle in der Bartolomějská jedoch, die Reise bedürfe der Genehmigung durch das Ortsamt (Okresní podnik bytového hospodářství OPBH). Dort solle ich mir die Zustimmung durch einen Stempel bestätigen lassen.

Kein Problem, dachte ich und ging zum zuständigen Amt, allein dort wusste man von einem entsprechenden Stempel nichts. Nun denn, ich wieder zum Passamt für Ausländer und nach dessen wiederholter Forderung nach dem Stempel zurück zum Ortsamt.

Ich wusste, dass es den mysteriösen Stempel möglicherweise nicht gibt, fragte deshalb aber, wer ihn wohl hätte, wenn es ihn gäbe. Auf die eindeutige Frage erhielt ich eine ebenso eindeutige Antwort, die im Falle des Falles zuständige Sachbearbeiterin jedoch verneinte, als ich sie anschließend darauf ansprach, die Existenz eines solchen Stempels und die Notwendigkeit, der Genehmigung der Reise durch das Amt.

Im Hintergrund hörte anscheinend mit "halbem Ohr" ein mittelalter Herr von kleiner Gestalt, wie ich mich dazu bekannte, Bittsteller zu sein, aber als solcher doch die Organisation hinterfrage, in der ein gewünschter Genehmigungsstempel zwar existieren solle, aber anscheinend nie vorhanden gewesen war.

Den Napoleon-Effekt auf meine unschuldige Frage hatte ich nicht vorhergesehen, doch der "kleine Mann" gab mir mit lauter Stimme zu verstehen, dass meine Frage eine Beleidigung des Sozialismus und der "Großen russischen Revolution" und somit der UdSSR sei.

Etwas bedrückt schlich ich wohl eher von dannen. Vor der Tür ging ich in eine Telefonzelle und informierte meine Frau, dass ich einen Fehler begangen hätte und dass sie sich, sollte ich abends nicht in unserer Wohnung anzutreffen sei, doch mit der westdeutschen diplomatischen Vertretung in Prag in Verbindung setzen solle.

Abends war ich zuhause und am nächsten Tag erklärte man mir in der Bartolomějská, dass eine Bestätigung durchs OPBH nicht erforderlich sei.

Episode XXI

1972

Ohne mich filmt man weiter

Eines Tages bat mich meine Frau etwas geheimnisvoll am Telefon, ich solle mir für den Abend nichts vornehmen, ohne aber den Grund dafür nennen zu wollen.

Es stellte sich heraus, dass ein Germanistik-Professor der Karlsuniversität sie gefragt hatte, ob ich noch in Prag sei und vielleicht Interesse hätte, an einem Deutschkurs für Tschechen als Schauspieler mitzuwirken.

Sie hatte zugesagt, ohne mich zu fragen, und abends ging es zu Probeaufnahmen ins Studio. Am nächsten Vormittag schaute der Regisseur Dr. Jiří Jahn sich die Aufnahmen auf dem Bildschirm an, abends hatte ich dann meinen ersten Auftritt.

Nachdem einige Zeit später, als die zweite Staffel abgedreht war, bat Jahn mich zum Gespräch. Man hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er sich, wolle er auch die nächste Staffel des Deutschkurses als Regisseur betreuen, von mir als westdeutschem Darsteller trennen müsse. Eine nähere Begründung hat es anscheinend nicht dafür gegeben.

Jahn bot mir an, mich weiterhin als Regieassistenten an dem Kurs mitarbeiten zu lassen, eine Tätigkeit, die wohl keiner politischen Kontrolle unterlag, ich sagte aber mit Bedauern ab, da ich ab März des kommenden Jahres in Hamburg studieren wollte.

Episode XXII

1973

Meine Mutter hatte mich auf meinen Wunsch hin zum Sommersemester 1973 als Student der Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg angemeldet. Ich beantragte deshalb wieder einmal in Prag ein Rückreisevisum. Dieses Mal stieß ich in der Bartolomějská auf ein gewisses Unverständnis. Meinen Hinweis, dass ich als Ehemann einer Tschechin über einen Wohnort verfüge und als freiberuflicher Korrektor und Übersetzer meinen Lebensunterhalt bestreite, begegnete der Sachbearbeiter mit dem Hinweis, ich könne mir nicht aussuchen, wo ich arbeiten wolle. Ich bräuchte eine feste Anstellung, zum Beispiel beim Bau der Metro oder in der Landwirtschaft, ansonsten würde man mir die Aufenthaltsgenehmigung entziehen.

Für mich war das ein Zeichen für den Aufbruch. Noch einmal nutzte ich ein Rückreisevisum für die Fahrt nach Hamburg. Am 1.4. hatte mein Studium offiziell begonnen, vom 2. bis 9.4. war ich in Hamburg, am 6.5. reiste ich offiziell aus der ČSSR aus.

Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen und mit ihr eine Zeit der Reisen von Hamburg über Berlin und Dresden nach Prag und zurück.

Fortsetzung folgt

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Obsah vydání | 4. 11. 2021